Limbach will Justiz entlastenJuristen sollen in NRW auch mit Durchschnittsnoten Staatsanwälte werden können

Lesezeit 4 Minuten
Benjamin Limbach, Minister der Justiz Nordrhein-Westfalen.

Benjamin Limbach, Minister der Justiz Nordrhein-Westfalen.

In NRW fehlen rund 360 Staatsanwälte. Justizminister Benjamin Limbach sucht nach Wegen, um die Personalnot zu beenden.

Die Zahl der Ermittlungsverfahren bei den Staatsanwaltschaften in NRW hat mit rund 140 000 Fällen deutlich zugenommen und liegt knapp 12 Prozent höher als vor der Pandemie im Jahr 2019. Das erklärte NRW-Justizminister Benjamin Limbach vor Journalisten in Düsseldorf. Bei den Ermittlungsverfahren zur Geldwäsche habe sich die Zahl verfünffacht, bei der Verbreitung pornografischer Inhalte sei die Zahl vom 6165 auf 21488 Vorgänge angestiegen. Der hohen Arbeitsbelastung will NRW- Limbach jetzt mit einem Maßnahmenpaket begegnen.

Die gute Nachricht für Jura-Studenten: Die Anforderungen an die Abschlussnote für Staatsanwälte werden abgesenkt. Traditionell war dafür die Prädikatsnote „voll befriedigend“ (9,0 Punkte) erforderlich, jetzt sollen auch Bewerber mit 7,0 Punkten („befriedigend“) zum Zug kommen können. Prüfungsergebnisse seien zum Teil „stark tagesformabhängig“, sagte Michael Schwarz, Generalstaatsanwalt in Hamm. Die neue Regelung gebe „mehr Beinfreiheit“ bei der Einstellung. In den vergangenen Jahren seien bereits manche Bewerber mit der Punktzahl 7,75 berücksichtigt worden. Die Regelung sei bis zum 31.Detember 2025 begrenzt, sagt Limbach.

Richter sollen Staatsanwälte werden

In NRW fehlten nach Angaben des Deutschen Richterbund in den ersten drei Quartalen des vergangenen Jahres rund 360 Staatsanwälte. Die Zahl der unerledigten Fälle stieg weiter an. Ende 2023 waren in NRW 242 677 Verfahren offen. „Um den starken Anstieg des Arbeitsanfalls bei Staatsanwältinnen und Staatsanwälten abzufedern, wird es zwischen Gerichten und Staatsanwaltschaften einen Belastungsausgleich geben“, erklärte Limbach. Insgesamt würden 100 Stellen bis Ende des Jahres aus dem richterlichen Dienst an die Staatsanwaltschaften übertragen. „Dies trägt dem Umstand Rechnung, dass die Eingangszahlen und damit der rechnerische Personalbedarf bei den Gerichten rückläufig sind“, sagte der Justizminister.

Limbach will zudem Volljuristen ermöglichen, als Rechtspfleger oder im Amtsanwaltsdienst bei den Staatsanwaltschaften zu arbeiten. Der Quereinstieg in die Justizberufe soll erleichtert werden. „Es werden Rechtsanwalts- und Notarfachangestellte oder auch Bürokaufleute gesucht, die wir laufend einstellen und erfolgreich in die Abläufe und Tätigkeiten in den Staatsanwaltschaften einarbeiten“, sagte der NRW-Justizminister.

Cannabis-Gesetz bereitet Mehrarbeit

Wegen der Zunahme der Fallzahlen ist die Belastungsquote der Staatsanwälte bei einem Zielwert von 100 von 109,25 im Jahr 2019 auf 123,75 im vergangenen Jahr gestiegen. Limbach kritisierte, dass das Inkrafttreten des Cannabisgesetzes jetzt für einen Anstieg der Mehrbelastungen sorge. So hätten 86.000 Vorgänge daraufhin überprüft werden müssen, ob mittlerweile eine Straffreiheit eingetreten sei. „Dies war bei mehr als 9.000 Verfahren der Fall“, sagte Limbach.  Allein im Bezirk Hamm seien zirka 15.000 Haftbefehle überprüft worden, von denen etwa 180 aufgehoben und etwa 45 angepasst wurden. „Der Mehraufwand durch das Cannabisgesetz wird die Justiz des Landes NRW noch über einen längeren Zeitraum begleiten“, so der Justizminister.

Stephanie Sauer, Generalstaatsanwältin in Köln, erklärte, Mitarbeiter der Staatsanwaltschaften würden künftig freiwillig auch an Samstagen arbeiten, um die Cannabis-Verfahren abzuarbeiten. „Alle Akten müssen händisch gesichtet werden“, sagte Sauer. Diese Mehrbelastung sei „sehr schmerzlich“ und komme „zur Unzeit“.

Die Justiz ist kein Verschiebebahnhof
Elisabeth Müller-Witt, SPD

Der Opposition im Landtag gehen die Vorschläge nicht weit genug. „Die Justiz ist kein Verschiebebahnhof“, sagt Elisabeth Müller-Witt, Vize-Fraktionschefin der SPD im Landtag. Mit dem Belastungsausgleich zwischen Gerichten und Staatsanwaltschaften reiße Minister Limbach „neue Löcher auf, um andere zu stopfen“. Werner Pfeil, rechtspolitischer Sprecher der FDP-Landtagsfraktion, erklärte, Limbach unternehme zu wenig, um „das sinkende Justiz-Schiff“ in NRW zu retten: „Anstatt das einschießende Wasser aufzuhalten, wischt er mit einem kleinen Lappen mal hier und mal dort.“

Nach Informationen der Deutschen Justiz-Gewerkschaft (DJG) sollen 149 Ausbildungsplätze, 40 Jobs für Gerichtsvollzieher und 100 Praktikantenstellen wegfallen. Darüber hinaus sind 34 Stellen in der Bewährungshilfe bedroht. Limbach wollte sich zu den Zahlen nicht äußern. Die Ressorts befänden sich gegenwärtig noch in einem sehr frühen Stadium des Haushaltsaufstellungsverfahrens.

Limbach dankte Brorhilker

Zu Beginn der Pressekonferenz dankte der NRW-Justizminister der früheren Cum-Ex-Ermittlerin Anne Brorhilker. Die Oberstaatsanwältin hatte in dieser Woche angekündigt, den Staatsdienst verlassen zu wollen, und der Justiz kein gutes Zeugnis ausgestellt. „Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen“, sagte Brorhilker. Die Ermittlungsbehörden seien im Kampf gegen die Finanzkriminalität schlecht aufgestellt. In der Vergangenheit hatte sich die Oberstaatsanwältin über den Versuch von politscher Einflussnahme auf die Cum-Ex-Ermittlungen beklagt, bei denen auch Bundeskanzler Olaf Scholz ins Visier geraten wahr.

Limbach erklärte, Brorhilker habe mit ihren Ermittlungen „den wohl größten Steuerskandal der Geschichte in Deutschland auf die Anklagebank“ gebracht und „damit außerordentliche Verdienste“ geleistet. Für die Justiz bedeutet ihr Ausscheiden „den Verlust einer herausragenden Persönlichkeit“. Auf Brorhilkers Kritik an der Arbeit der Staatsanwaltschaften ging Limbach nicht ein.

KStA abonnieren