Interview mit Moderator und Autor Dirk SteffensWarum Bio allein längst nicht die Lösung ist

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Ein Verkäufer greift an einem Obst- und Gemüsestand auf dem Wochenmarkt in eine Kiste mit Erbsen.

Ein Verkäufer greift an einem Obst- und Gemüsestand auf dem Wochenmarkt in eine Kiste mit Erbsen.

Die Produktion von Lebensmitteln verursacht Klimaschäden. Das muss nicht so sein, sagt Autor und Moderator Dirk Steffens in seinem Buch „Eat it!“.

Herr Steffens, warum sollten wir, um eine nachhaltigere Welt zu schaffen, beim Thema Ernährung anfangen?

Dirk Steffens Wenn man etwas reparieren will, dann sollte man das größte Problem zuerst beheben. Wissenschaftlich betrachtet gibt es nichts, was unsere Natur stärker belastet als die Art und Weise, wie wir Lebensmittel produzieren. Das globale Ernährungssystem ist für über ein Drittel aller Treibhausgase verantwortlich, es ist die Hauptursache für die Abholzung von Wäldern und verbraucht bis zu 70 Prozent des Süßwassers weltweit. Bevor wir also über Urlaubsflüge, Handys oder Heizungen reden, sollten wir darüber reden, wie wir unser Essen herstellen.

Dirk Steffens, Moderator, Journalist und Tierfilmer.

Dirk Steffens, Moderator, Journalist und Tierfilmer.

In Ihrem Buch „Eat it!“, das Sie mit der Journalistin Marlene Göring geschrieben haben, stellen Sie aber gleichzeitig fest, die Lebensmittelproduktion sei die größte Erfolgsstory der Menschheit. Wie geht das zusammen?

Wir sind in der Lage, genug Nahrungsmittel zu produzieren, um acht bis zehn Milliarden Menschen zu ernähren. Das verdanken wir der Technologie und der Industrialisierung der Landwirtschaft. Aber man kann alles übertreiben: Wir haben die Industrialisierung so weit getrieben, dass wir Probleme erzeugt haben, die wir kaum noch in den Griff kriegen. Etwa den Verlust von Boden. Grob gerechnet verlieren wir jedes Jahr ein Prozent der weltweiten Ackerfläche, weil Böden durch landwirtschaftliche Nutzung unfruchtbar werden, versauern oder versalzen.

Wäre das Problem gelöst, wenn wir uns alle vegan ernähren würden?

Nein. Tatsächlich geht es weniger darum, was wir essen, als darum, wie es produziert wurde. Aber: Es ist richtig, dass wir als Menschheit viel zu viel Fleisch essen. Das ist ineffizient, weil viel mehr Land und Energie benötigt werden, um Fleisch herzustellen als beispielsweise die gleiche Menge Getreide. Das heißt aber nicht, dass wir überhaupt kein Fleisch mehr essen dürfen. Die richtige Aussage lautet: Wir essen zu viel Fleisch, und das Fleisch, das wir essen, produzieren wir nicht nachhaltig genug.

Wie kann man Fleisch denn nachhaltig produzieren?

Es gibt Modelle aus der regenerativen Landwirtschaft, bei denen eine Kuh vom Klimakiller zum Klimaschützer werden kann. Zum Beispiel, indem man sie nicht im Stall mästet, sondern auf der Weide hält und alle paar Stunden von einer Parzelle auf die nächste treibt, was Fachleute Mob-Grazing nennen. Die Tiere beißen nur die Grasspitzen ab, es bildet tiefere Wurzeln, die sorgen dafür, dass sich im Boden mehr Humus bildet. Und humöse Böden können mehr CO2 binden. Oder wenn man dem Rinderfutter statt Soja proteinreiche Algen beimengt, kann man den Methanausstoß der Tiere massiv verringern.

Würde es helfen, wenn alle Landwirtschaftsbetriebe auf Bio umstellen?

Auch hier gibt es keine simple Antwort. Die Fläche der Erde, auf der sich Landwirtschaft betreiben lässt, ist begrenzt. Mit wachsender Bevölkerung wird das Stück Land, das pro Kopf für Ernährung zur Verfügung steht, schrumpfen. Die idyllische Biolandwirtschaft, wie wir sie uns vorstellen, ist dafür nicht effizient genug. Wir müssen Landwirtschaft gleichzeitig effizienter und nachhaltiger machen. Dafür ist es nötig, ökologische Erkenntnisse mit modernster Technologie zu kombinieren. Die gute Nachricht ist: Es geht.

Die Lösungen gibt es schon?

Ja, es gibt zum Beispiel Erkenntnisse aus der regenerativen Landwirtschaft, wie der Boden produktiver wird, wenn er nicht jedes Jahr umgepflügt wird. Und es gibt digitale Anwendungen, die punktgenau arbeiten, das sogenannte Precision Farming. Dabei werden Gülle oder Spritzmittel nicht mehr großflächig über dem ganzen Feld ausgebracht. Stattdessen fahren kleine Maschinen über das Land, schauen sich jede Pflanze an und dosieren punktgenau. Dadurch wird eine Menge Pestizid eingespart.

Kann ich als Verbraucherin erkennen, welche Lebensmittel nachhaltig produziert sind?

Meistens reicht gesunder Menschenverstand. Wenn Sie sich jeden Tag eine Flugmango kaufen, dann brauchen Sie kein Biologiebuch gelesen zu haben, um zu verstehen, dass das klimatechnisch nicht so gut ist. Also mit der Faustregel regional und saisonal ist man schon gut aufgestellt. Zusätzlich kann man sich noch an die gängigen Nachhaltigkeitssiegel halten. Es gibt zwar auch Kritik an den Siegeln, aber jedes noch so fragwürdige Siegel ist besser als gar keins.

Regionale, ökologisch produzierte Lebensmittel sind meistens teuer.

Da kommt die Politik ins Spiel. Jedes Jahr subventionieren wir die Landwirtschaft mit vielen Milliarden Euro. Weil große Höfe mehr Subventionen bekommen als kleine, wird das Fleisch aus der Massentierhaltung billiger als nachhaltig produziertes Fleisch von kleineren Höfen. Das sind Fehlsubventionen, die unsere Kaufentscheidungen schwierig machen. Durch falsche Politik oder Lobbybeeinflussung macht der Staat an vielen Stellen die ökologisch schädlichen Produkte preiswerter, als sie eigentlich sind, die Verbraucherinnen und Verbraucher werden im Grunde betrogen. Sie erinnern sich vielleicht an die Aktion von Penny, bei der die Folgekosten für die Umwelt mit in den Preis eingerechnet wurden. Eine Bratwurst war plötzlich fast doppelt so teuer. Normalerweise wird den Leuten vorgegaukelt, die Bratwurst sei billig. Dass die aus der konventionellen Landwirtschaft kommt, in der zu viel Gülle anfällt, die dann über den Feldern ausgebracht wird, was unser Grundwasser mit schädlichem Nitrat anreichert, das erzählt ihnen keiner. Wir müssen als Steuerzahler viele Hundert Millionen Euro pro Jahr bezahlen, um das Grundwasser von Nitrat zu reinigen.

Kann ich als einzelne Person beim Thema Ernährung überhaupt etwas ausrichten?

Kein Supermarkt würde Produkte anbieten, die die Kunden nicht kaufen. Und wenn die Supermärkte diese Produkte nicht anbieten, dann stellen die Landwirte sie auch nicht her. Fast jede Alltagsentscheidung, die Sie treffen, ist genau wie die Ernährung global verbunden mit dem Natursystem, weil wir in einer globalisierten Welt leben. Und mit jeder dieser Entscheidungen haben Sie ein bisschen Einfluss. Und das addiert sich natürlich. Und deshalb können wir dieses System auch verändern. Wir sind viel mächtiger, als wir glauben.

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